Plagiat
Der Raum ist dunkel. Ich bin wohl in einem Wohnzimmer. Alles wirkt vertraut
und warm. Aber es brennt nur eine kleine Lampe. Sie beleuchtet ein Bild. Das
warme Licht lässt es lebendig erscheinen, als würde man mich einladen einer
Geschichte zu lauschen. Und in einem einzigen Moment tun sich mir Hunderte von
neuen Welten auf. Aber wer hat diese Geschichten geschaffen? Angeblich ist das
Motiv von einem berühmten Künstler. Angeblich war er einmal einer der ganz
Großen. Aber das Bild, das Bild, das hier vor mir ist- es stammt von niemand
Großartigem. Es ist nur ein Plagiat, eine billige Kopie von etwas Großem. Eine
billige Kopie, die mehr sein will als sie jemals sein wird. Hunderte von Welten
sterben vor meinen Augen, dennoch bin ich inspiriert. Und ich spüre nichts;
keine Scham von etwas Falschem inspiriert und geleitet zu werden. Von etwas
Unreinem getrieben zu werden.
Unbewusst greifen meine Finger nach der
Feder in meiner Tasche. Sie streichen über das Schreibwerkzeug, sanft und
leicht. Als wäre es meine Geliebte. Aber die vertraute Feder, welche mich in
ferne Welten entkommen lässt, wirkt von einem Moment auf den anderen schwer und
belastend. Und ich fange an mir neue Fragen zu stellen. Welche meiner Gedanken,
die mich Sekunde für Sekunde leiten, sind die meinen? Ich versuche es in Worte zu fassen. Ich
versuche zu verstehen was mein ist. Vielleicht sogar wer ich bin? Und meine
Hand bewegt sich nicht mehr. Die Worte würden sich nicht zu Papier bringen
lassen. Die Feder entkommt meinem Griff. Es dämmert mir langsam, vielleicht bin
ich selbst nur das schlecht gelungene Plagiat vieler großer Schriftsteller und
Künstler, welches noch auf seinen naiven Käufer wartet? Welche Sätze, die ich
spreche und schreibe, sind die meinen? Sind die Ideale, die mich treiben, mich
meiner Zukunft entgegen peitschen, alles nur billige Plagiate der Werke von
großen Frauen und Männern, für welche ich noch willige Käufer suche?
Meine Hand zittert. Ich fürchte mich vor der Antwort. Das warme Licht der
Lampe. Der Rahmen des Bildes. Die Realität ist verzerrt. Ich sehe in mich. Ich
erkenne mich. Und dieses mal verstehe ich. Wieso ich denke. Wieso ich schreibe.
Ich schreibe Geschichten weil ich sie nicht erzählen kann. Und ich lächle -
dieser Satz ist gestohlen. Von einem Mann der mich beeinflusst hat. Der mich
über Jahre geleitet hat, ohne dass ich ihm jemals „Danke“ sagen konnte, ohne
ihm je begegnet zu sein. Aber er war es, der mich getrieben hat. Dennoch,
solange ich weiß wer ich bin, werde ich immer ich sein. Und vielleicht werde
ich so nicht den Ruhm erreichen den Andere haben, aber wenigstens werde ich
kein Plagiat von etwas Großem, das ich niemals erreichen könnte. Ich greife
nach meiner Feder. Und ich sehe wieder diese eine Geschichte, welche in mir
ist. Inspiriert von anderen, dennoch auf ewig die meine.